Reisethemen
 
  Irish Tiliviche
  Die PanAmericana sinkt aus der Wüstenhochfläche in ein Tal, überquert einen Bach: Das Oasental von Tiliviche. Seit urdenklichen Zeiten wurde es von Menschen genutzt, in einem Seitental erzählen prähistorische Bilder leise davon. Die jüngsten Nutzer der Oase kamen 1855 aus Irland und hatten sich entschlossen, nicht am Goldrausch in Nordamerika teilzunehmen, sondern es lieber mit dem Salperrausch in Südamerika zu versuchen, an dem das British Empire kräftig beteiligt war. Die Hacienda Tiliviche, geprägt von den Spuren aus 150 Siedlerjahren, ist noch im Besitz der Familie Keith.
    Mit viel Mut ausgestattet, kam Urgroßvater Keith mit seiner Frau und einer Geschäftsidee in die Oase Tiliviche, die damals noch zu Peru gehörte. Sie hatten den Plan, Alfalfa anzubauen, das als Futter für die vielen Maultiere im Salpeterabbau dringend gebraucht wurde.
 
   

Das Geschäft florierte, und man konnte es sich bald leisten, den Hausstand der Hacienda mit feinsten Importen aus England aus- zustatten. Im Jahr 1879, es war Salpeterkrieg, rutschte Tiliviche plötzlich nach Chile. Doch der Keith-Clan fand sich mit den neuen Verhältnissen rasch zurecht. "Wir waren halt Chilenen geworden, Santiago statt Lima - so what!"

 
    Die meisten Felder liegen heute brach, und der Glanz des einstigen Treffpunkts der feinen Gesellschaft ist erloschen, der Swimming Pool leer. Tiliviche lebt noch in der Erinnerung von Adam Keith, gut über 80 und fast blind. Er allein ist auf der Hacienda übriggeblieben, betreut von einem Helfer. "Und Ihre Familie?" "Weit verstreut, ich mag hier sein."
 
    Adam erzählt mit Humor, ohne jede Wehmut und hält dabei den Schlüssel zum Friedhofstor des "British Cemetery" hoch, das sich auch bald hinter ihm schließen wird. Ihm fällt die Tante ein, die malend mit dem Pinsel in der Hand 90 jährig starb: "Dort drüben hängt das Bild", und fügt mit Schalk hinzu: "Natürlich unvollendet!"
 
    Die Uhr tick laut, zu laut. Im Nebenraum steht ein mit einem Tuch gegen den all- gegenwärtigen Staub abge- decktes Harmonium. Adam hebt einen Zipfel an und fragt: "Können Sie spielen?" Was hätte gepasst: "Näher mein Gott zu Dir?" Er würde bestimmt gelacht haben.
 
    "British Cemetery", ein- geweiht 1876, das eiserne Friedhofstor aus Merry Old England herbeigesegelt.
 
   

James T. Humberstone, "Don Santiago" oder "Vater der Salpeterindustrie" ist der Prominente unter den hier Ruhenden, begleitet von den Familien Hall, Jones, Nicholls, North, French Davis, Keith und Namenlosen.

Auch hier könnte die Tafel stehen, die Besucher eines englischen Friedhofs in Ecuador belehrt: "There is some corner of a foreign field that is forever England"
(Ein Stückchen fremden Bodens, England ewiglich)

 
  Tiliviche, 13. Juni 1908

Liebe Großmutter

Max hat mich zum Friedhof mitgenommen, der auf der anderen Seite des Flusses liegt. In dieser kleinen Oase gibt es so viele Blumen, Büsche und Bäume und man sieht die zahlreichen Geoglyphen auf den uns umgebenden Hügeln.
Es war ganz ruhig. Ich genoss den erfrischenden Schatten der Tamarugalbäume wie eine unerwartete Umarmung. Jemand hatte Blumen auf die Grabsteine gelegt, doch es waren keine echten Blumen, sondern Papier und Draht, die im Winde jammerten - nimmer verstummende Seufzer.

Wie viele Geheimnisse verbergen sich wohl noch in den Tiefen dieser Wüste?

Ihre
Isabelle

Georgina Gubbins: Cartas del Desierto

 

Tiliviche, März 2005

Am Gegenhang donnert ein Kühllastwagen vierzigtonnig über die PanAmericana, vielleicht Joghurt in fünfzehn Geschmacksrichtungen an Bord.
Wie viele Geheimnisse...

 
       
 
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